Wer an Trading denkt, dem fallen zunächst die Extreme ein. Entweder sind es große Erfolge oder schwere Misserfolge. Eine Trader-Laufbahn hat jedoch weniger mit sprunghaften Innovationen zu tun, sondern vielmehr mit stetigen kleinen Entwicklungsschritten. Dabei verlaufen die Schritte nicht immer in eine positive Richtung. Vergleichbar mit der Börse geht es drei Schritte voran und zwei zurück.
Kostengünstig Erfahrungen sammeln
Meine persönlich größten Entwicklungsschritte habe ich mit Backtests erreicht. Daher bin ich ein großer Befürworter des Testens. Backtests bieten den Blick in die Vergangenheit und somit eine Einschätzung, ob ein neuer Handelsansatz auch in der Zukunft eine Chance hätte. Manche Börsianer halten überhaupt nichts von Backtests. Wobei ich denke, dass es auch mit Trägheit zu tun hat, denn manche Backtest beinhalten einen hohen Arbeitsaufwand. Die Argumentation der Kritiker ist immer gleich: Ein erfolgreicher Handelsansatz der Vergangenheit ist keine Garantie zukünftige Gewinne. Das ist sicher richtig, doch wie sieht die Alternative dazu aus. Einfach aus dem Bauch heraus sofort loshandeln?
Trader bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen. Backtests bieten die Chance zur Risikominimierung. Es ist ein Sammeln von kostengünstigen Erfahrungen, denn man muss sein Kapital nicht einsetzen.
Überoptimierung durch Perfektionsdrang
Ein Trader sollte grundsätzlich eine positive Einstellung zum Scheitern haben. Aber nur wenn Scheitern mit kleinen Fehlern gleichgesetzt wird. Ein großes Problem von Backtests ist das Festlegen der Handelsregeln. Ohne Regeln gibt es keine Programmierung und damit keinen Blick in die Vergangenheit. Die meisten Strategien mit Indikatoren und Oszillatoren lassen sich praktikabel in einen Programm-Code umsetzen. Dabei fallen viele Handelsideen durch das Sieb der Ernüchterung, weil die Ergebnisse doch nicht dem entsprechen, was ursprünglich erhofft wurde.
Perfektionisten landen gerne bei eine Überoptimierung. Dabei werden die Parameter solange verändert, bis die Handelsergebnisse für den Betrachtungszeitraum idealisiert sind. Die Börsenwelt unterliegt einem stetigen Wandel. Daher funktionieren überoptimierte Strategien in der Zukunft nicht besonders gut.
Ein praktisches Beispiel für ein Handelssystem mit Überoptimierung
Der bekannte RSI ist ein überaus flexibler Indikator. Man kann ihn sowohl für Trades im Trend als auch im Seitwärtsmarkt einsetzen. Wenn wir die Standardeinstellung von 14 Perioden benutzen, dann befindet sich zwischen den Grenzwerten von 40 und 60 eine Normalzone. Ohne Marktschwung pendelt der RSI um seine 50er-Mittellinie, und die Hoch und Tiefs erreichen maximal die Grenzwerte.
Handelsidee:
Wenn der Markt in einen Trend übergeht, dann muss der RSI zwangsläufig über 60 oder unter 40 laufen. Infolgedessen übertritt der RSI in einem Aufwärtstrend die 60er-Grenze. Im Falle eines Abwärtstrends fällt er unter 40.
Handelsergebnisse für den DAX:
Zeitraum: 01.01.2005 bis 31.12.2015
Anzahl der Trades: 169
Einstellung: RSI(14) mit den Grenzen 40 und 60
Gebühren: 4 Euro pro Trade
Trefferquote: 31,67%
Payoff-Ratio: 2,51 (Durchschnittlicher Gewinn / Verlust je Trade)
Profitfaktor= 1,16 (Summer der Gewinne / Summe der Verluste)
Aus 100000 Euro Kapital wären 153417 Euro geworden (53% Rendite).
Bild 1: Handelssystem mit RSI(14) für Trendbewegungen (blaue Pfeile im Kurs-Chart= Einstiege). Der Long-Einstieg erfolgt, wenn der RSI die 60er-Grenze von unten nach oben überschreitet. Beim Ausstieg kreuzt der RSI die 60er-Grenze von oben nach unten. In umgekehrter Form gilt dies auch für den Short-Trade an der 40er-Grenze.
Optimiertes Handelssystem
Beim beschriebenen Handelssystem gibt es zwei Parameter. Es ist die RSI-Periode und die Handelsgrenze. Das Ergebnis verbessert sich beträchtlich, wenn man die beiden Parameter optimiert.
Handelsergebnisse für den DAX:
Zeitraum: 01.01.2005 bis 31.12.2015
Anzahl der Trades: 412
Einstellung: RSI(4) mit den Grenzen 29 und 71
Gebühren: 4 Euro pro Trade
Trefferquote: 37,86%
Payoff-Ratio: 2,08 (Durchschnittlicher Gewinn / Verlust je Trade)
Profitfaktor= 1,27 (Summer der Gewinne / Summe der Verluste)
Aus 100000 Euro Kapital wären 204336 Euro geworden (104% Rendite).
Bild 2: Handelssystem mit RSI(4) für Trendbewegungen
Der Long-Einstieg erfolgt, wenn der RSI die 71er-Grenze von unten nach oben überschreitet. Der Ausstieg aus dem Trade, wenn die 71er-Grenze von oben nach unten gekreuzt wird. Um nicht zu viele Signalpfeile im oberen Chart zu haben, sind die Short-Trades ausgeblendet worden (optische Gründe). Innerhalb des RSI-Indikators sind die Short-Signale vollständigkeitshalber enthalten.
Kritik an der Optimierung:
Die beiden Testergebnisse zeigen, dass ein Handelssystem außerordentlich verbessert werden kann, wenn es optimiert wird. Dabei darf nicht vergessen werden, dass eine Optimierung immer exakt für den entsprechenden Handelszeitraum passt. Manchmal ist das optimierte Ergebnis auch für die Praxis relevant. Das ist im oberen Beispiel der Fall, weil der Betrachtungszeitraum sehr lang gewählt ist. Eine Überoptimierung lässt sich weiter vorantreiben, wenn der Betrachtungszeitraum verkürzt würde.
Die oberen Ergebnisse der Optimierung sind verlockend. Dabei darf die zukünftige Marktstruktur nicht außer Acht gelassen werden. Die Ergebnisse würden sich verschlechtern, wenn der DAX in einen schwankungsarmen Seitwärtsmarkt übergeht. So entstehen viele kleine Fehlsignale, weil die Kurswellen im Durchschnitt kürzer sind. Im Gegensatz dazu würden sich die Ergebnisse verbessern, wenn sich ein neuer Trend ausgebildet.
In jedem Fall bleibt die Trefferquote des Handelssystems konstruktionsbedingt unter 50%. Deshalb muss darauf geachtet werden, dass ein durchschnittlicher Gewinn-Trade mehr Geld einbringt als der Verlust-Trade.
Chart-Formationen können ein Vorteil sein
Eine Alternative zum Trading mit Indikatoren bietet die Chart-Technik. Hier gibt es für einen Backtest ein entscheidendes Problem. Chart-Formationen lassen sich schwer programmieren. Selbst banale Dinge, wie Unterstützungs- oder Widerstandszonen sind umständlich programmierbar, obwohl sie visuell leicht erkennbar sind. Die Programmierung ist schwierig, weil zu viele Eigenschaften der Kursformation berücksichtigt werden müssen. So haben selbst einfachste Formen einen langen Programmier-Code.
Viele Programmierer stehen der Chart-Technik skeptisch gegenüber. Ganz so, als wäre alles Humbug, was man nicht backtesten kann. Es ist allgemein bekannt, dass nur eine Minderheit an der Börse gewinnt. So könnte gerade die Minderheit, die sich auf Chart-Formationen konzentriert, zu den Gewinnern gehören. Möglicherweise haben Chart-Techniker sogar einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den fixen Algorithmen? Umfassend beantworten kann man die Frage nicht.
Eines ist unzweifelhaft: Chartformationen wie Dreiecke oder Schulter-Kopf-Schulter-Formationen wurden schon in der „Steinzeit“ der Technischen Analyse entdeckt. Und sie funktionieren immer noch. Gute Kursmuster basieren auf der Massenpsychologie der Börse. Solange Menschen Angebot und Nachfrage bestimmen, bleiben die Muster gültig. Das gilt umso mehr für Widerstände und Unterstützungen.
Handelsansätze, die man nicht testen kann, bleiben immer mit Unsicherheit behaftet und riskanter. Sicherheit gibt es aber auch nach einem Backtest nicht. Eine positive Statistik suggeriert zwar mehr Vertrauen aber auch keine Gewinn-Garantie.
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