Der Brexit und seine Folgen

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich habe einige Zeit überlegt, ob ich nun auch noch meinen Senf zum Thema „Brexit“ beitragen soll. Die Fakten sind schließlich bekannt, da weiß ich auch nicht mehr als andere. Mehr zu den Fakten gleich. Vorab einige persönliche Anmerkungen:

Bild britisches Pfund

In money we trust? Das britische Pfund. Bildquelle: pixabay

Da ich für den russischen „Channel One“ die Brexit-Auswirkungen kommentiert habe, bereitete ich mich entsprechend vor. Neben den Fakten = dem, was wir an den Finanzmärkten sehen, interessierte mich sozusagen „Volkes Stimme“. Kurz entschlossen speiste ich deshalb zu Mittag in einer rustikalen Gaststätte in Fußreichweite. Dort drehten sich die Gespräche auch ums Thema „Brexit“. Und während sonst Stammtische eher in negativem Zusammenhang erwähnt werden („Stammtischparolen“ etc.), habe ich ganz im Gegensatz dazu die Erfahrung gemacht, dass gerade an Stammtischen die Lage oft klarer und ehrlicher gesehen wird als anderswo.

Und siehe da, ich kam mit einer klaren persönlichen Ansicht zurück ins Büro. Zunächst einmal handelt es sich hier um ein demokratisches Wahlergebnis eines souveränen Volkes. Dann: Wenn Großbritannien nun zwar aus der EU austritt, aber ein Assoziierungsabkommen mit selbiger schließt – was ändert sich dann schon groß für den „kleinen Mann“? Sofern weitgehender Freihandel gewährleistet bleibt, spielt es doch kaum eine Rolle, ob Großbritannien nun in der EU ist oder nicht.

Oder haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, ob unsere Beziehungen zu Norwegen (Nicht-EU-Mitglied, eigene Währung, weitgehender Freihandel mit der EU) schlechter sind als die zu Schweden (EU-Mitglied, eigene Währung, gemeinsamer Binnenmarkt)?

Und dann dies: Die nächsten zwei Jahre wird sich voraussichtlich sowieso nichts ändern am EU-Status Großbritanniens! So lange sollen schließlich die Verhandlungen über die Modalitäten des Austritts dauern.

Und wer weiß, ob eine kleinere EU nicht handlungsfähiger sein wird. Und noch ein Aspekt: In Schottland sollen fast zwei Drittel der Wahlberechtigten für den Verbleib in der EU gestimmt haben. Möglich könnte nun folgendes Szenario sein – baldige Abstimmung Schottlands über die Abspaltung von Großbritannien, um der EU beitreten zu können. Pantha rei, wie Heraklit gesagt haben soll – alles ist im Fluss.

In dem Kontext musste ich eben an Konrad Adenauer denken. Dieser hat sich in seiner Funktion als Kölner Oberbürgermeister nach dem Ersten Weltkrieg sehr schnell auf den Boden der nun einmal gegebenen Tatsachen gestellt und entsprechend gehandelt. Sicherlich eine rheinische Eigenschaft von unschätzbarem Wert.

Und nun noch einige Fakten zum Thema „Brexit“:

Bei der „Brexit“-Abstimmung haben 51,9% der britischen Wahlberechtigten, die ihre Stimme abgegeben haben, für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union gestimmt. Da die jüngsten Umfragen bzw. Einschätzungen von Wettbüros ganz im Gegenteil dazu keine Mehrheit für einen „Brexit“ gesehen hatten, reagierten die Marktteilnehmer(innen) heute im frühen Handel überrascht. Und Überraschung bedeutet an den Finanzmärkten üblicherweise – starke Kursschwankungen! So kam es dann auch. Konkret:

Natürlich – sowohl britisches Pfund als auch die Kurse britischer Aktien gerieten nach Bekanntgabe des Ergebnisses kräftig unter Druck. Der DAX verlor zu Handelsbeginn rund 10% (!) – und das ist der höchste Tagesverlust seit der Finanzkrise 2008. Wenn meine Daten stimmen, dann war das Minus zu Handelsbeginn von 10,1% das größte Minus seit dem 24. Oktober 2008.

Auch die europäische Gemeinschaftswährung Euro gab kräftig ab, im frühen Handel lag das Minus bei rund 4%, bis zum Nachmittag konnte es aber auf weniger als 2,5% Minus eingegrenzt werden. Stärker unter Druck geriet – wenig überraschend angesichts des Brexit-Votums – das britische Pfund. Hier hieß es z.B. gegenüber dem Dollar rund 6% Minus im frühen Nachmittagshandel am Freitag. Aber auch da lag das Minus im frühen Freitagshandel noch deutlich darüber. Konkret: Das britische Pfund war gegenüber dem Dollar innerhalb weniger Stunden von 1,50 (Pfund pro Dollar = USD/GBP) auf rund 1,35 gefallen.

Das war der tiefste Stand des britischen Pfundes gegenüber dem Dollar seit rund 30 Jahren. Danach erholte sich die britische Währung etwas. Ist das mehr als eine Momentaufnahme? Derzeit offen! Hingegen war diese Anlageklasse gefragt:

Unsicherheit, Bedürfnis nach Sicherheit? In solchen Zeiten bzw. dann, wenn die Anleger(innen) mehrheitlich darauf fixiert sind, sind tendenziell „sichere Häfen“ gefragt. Und zu denen gehören neben Gold auch traditionell Bundesanleihen. Und da wiederum sind international die 10jährigen Bundesanleihen im Fokus. Bekanntlich liegt deren Rendite aber bereits im negativen Bereich. Von attraktiver Anlageform lässt sich also wohl kaum sprechen. Dennoch: Am heutigen Freitag waren die 10jährigen Bundesanleihen trotz Negativ-Rendite stark gefragt. „Flucht in Sicherheit“ sozusagen, oder in zumindest vermeintliche Sicherheit. Die zusätzliche Nachfrage trieb die Kurse der 10jährigen Bundesanleihen nach oben. Die Folge: Die Negativ-Rendite hat sich noch vergrößert. Laut der Börse Stuttgart erreichte diese den neuen Rekordwert von -0,152%. Wenn Sie demnach 10jährige Bundesanleihen kaufen, bedeutet das pro Jahr durchschnittlich 0,152% Verlust. Gebühren und Inflation etc. natürlich nicht berücksichtigt. Verrückte Welt? Jedenfalls war diese Anlageform heute sehr gefragt!

Gold als „sicherer Hafen“ profitiert

Bleibt noch das Gold. Dieses gilt traditionell ebenfalls als „sicherer Hafen“. Insofern überrascht es nicht, dass die Notierung des gelben Edelmetalls nach dem „Brexit“-Votum deutlich angezogen hat. Der Preis je Feinunze Gold stand am Freitag im frühen Nachmittagshandel rund 60 Dollar oder gut 5% höher. Damit markierte der Goldpreis auch ein frisches 12-Monats-Hoch. Kein Wunder, dass dies auch Goldminenaktien wie Barrick Gold beflügelte, die ebenfalls kräftig zulegen konnten. Naturgemäß steigt mit jedem Dollar, den der Goldpreis vom aktuellen Niveau aus steigt, auch der eigene Gewinn. Und Barrick Gold hat bewiesen, dass bereits zu deutlich niedrigeren Preisen profitabel gearbeitet werden kann. Konkret:

Für die fünf Kern-Goldminen von Barrick Gold auf dem amerikanischen Kontinent sollen die Förderkosten (all-in-sustaining-costs) im laufenden Geschäftsjahr bei lediglich 660-730 Dollar je Feinunze liegen. So lautet jedenfalls die Prognose von Barrick Gold selbst. Hier zeigt sich, eine wie starke Hebelwirkung der Goldpreis auf die Gewinne von Barrick Gold hat. Das wirkt sowohl nach unten – als auch nach oben. Und derzeit ist Letzteres der Fall – Beim Gold kommt nun der bullishe Faktor hinzu, dass ein charttechnischer Widerstand bei knapp 1.300 Dollar je Feinunze überschritten worden ist. Das könnte weitere prozyklische Käufe anlocken – sofern es nicht am kommenden Montag eine Korrektur unter diese Marke geben wird.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben ein angenehmes Wochenende!

Ihr

Michael Vaupel

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